November 2021
Facebook, Instagram und der Jugendschutz
Die „Facebook Files“ aus Medienbildungssicht
Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Snapchat sind nicht für Kinder erstellt worden. Doch in einer Zeit, da schon ein Drittel aller 8- bis 9-jährigen Kinder und Dreiviertel der 10- bis 11-Jährigen ein eigenes Smartphone besitzen[1], möchten die Betreiber diese Nutzer*innen möglichst früh auch an sich binden. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das verständlich – aber was ist mit der Verantwortung für die junge Zielgruppe, was mit dem Kinder- und Jugendschutz? Die geleakten Facebook-Dokumente („Facebook Files“) bieten spannende Einblicke in die Machenschaften des Konzerns.
Die so genannten „Facebook Files“ haben in den letzten Wochen (September/Oktober 2021) für großes Aufsehen in den Medien gesorgt. Frances Haugen, eine ehemalige Produktmanagerin im Facebook-Konzern (mittlerweile „Meta“ genannt), hatte Tausende Seiten aus internen Dokumenten an das Wall Street Journal übergeben, später auch an weitere Medien, wie zum Beispiel an die deutsche Recherchekooperation aus Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. Schon früh wurde klar, dass es sich hierbei um recht brisantes Material handelte.
Die Süddeutsche Zeitung fasste am 25. Oktober 2021 die bis dahin wichtigsten Erkenntnisse in sieben Punkten zusammen:
„1. Facebook war sich seiner Risiken und Nebenwirkungen immer bewusst (…)
2. Zuckerberg hat die Öffentlichkeit belogen (…)
3. Instagram kann der mentalen Gesundheit von Teenagern schaden (…)
4. Facebook will Kinder für sich gewinnen (…)
5. Facebooks künstliche Intelligenz ist schwer von Begriff (…)
6. Erst kommen die USA, dann kommt lange nichts (…)
7. Für Facebook zählt in erster Linie der Profit.“[2]
Kurz nachdem Frances Haugen ihre Identität in einem Fernsehauftritt preisgab – vorher war lediglich von einem „Whistleblower“ die Rede –, berichtete sie vor dem US-Senat von ihren Eindrücken und Kenntnissen:
„Die Dokumente, die ich weitergegeben habe, beweisen, dass Facebook uns wiederholt darüber getäuscht hat, was seine interne Forschung über die Sicherheit von Kindern, seine Rolle bei der Verbreitung von Hetze und polarisierenden Botschaften und so viele andere Dinge enthüllt.“[3]
Besonders die Punkte, in denen es um Kinder und Jugendliche geht, ließen aufhorchen – vor allem, weil interne Studien von Facebook selbst die Missstände aufzeigten, doch der Konzern diesen Studienergebnissen keine Konsequenzen folgen ließ.
Auswirkungen von Instagram auf Kinder und Jugendliche
Aus den Facebook-Studien geht laut der Süddeutschen Zeitung u. a. hervor, dass es einem Drittel der Mädchen, „die sich unwohl in ihrem Körper fühlen“, nach der Nutzung von Instagram, das zum Facebook-Konzern gehört, schlechter gehe: Von Depressionen und sogar Suizidgedanken ist die Rede.[4]
Solche Theorien zur Wirkung von Instagram (und auch anderen, ähnlichen sozialen Netzwerken) sind nicht neu:
- Die Angst, etwas zu verpassen („Fear of Missing Out“ oder abgekürzt FOMO genannt), wenn das Smartphone nicht griffbereit ist, wird seit einer Studie aus dem Jahr 2013 in Zusammenhang mit „negativem Wohlbefinden sowie allgemeiner Lebensunzufriedenheit“ in Zusammenhang gebracht. Ähnliches zeige sich auch, wenn bestimmte Kommunikationskanäle (wie z. B. WhatsApp, Instagram oder Facebook) nicht erreichbar sind.[5]
- Die britische Gesundheitsorganisation hat 2017 zusammen mit dem „Young Health Movement“ herausgefunden, „dass vor allem Instagram das Seelenleben der Jugendlichen und jungen Erwachsenen negativ beeinflusst“: Das Selbstbild und die Körperwahrnehmung seien gestört, depressive Stimmungen die Folge.[6]
- Eine Studie der Krankenkasse DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf kommt zu dem Ergebnis, dass die intensive Nutzung sozialer Medien gesundheitliche Probleme verursachen: Es gebe einen Zusammenhang zwischen Social-Media-Sucht und Depression.[7]
- Bei einer Online-Befragung der „SRH Fernhochschule – The Mobile University“ (Riedlingen, Baden-Württemberg) von 2019 berichteten einige Befragte von psychischen Problemen und Schlafproblemen, wobei zumindest in der Pressemeldung der Hochschule zu der direkten Wirkung nur vage Angaben gemacht werden.[8]
Wer sich einmal mit Medienwirkungsforschungen beschäftigt hat, der weiß: Unmittelbare und eindeutige Wirkungen festzustellen ist ein schwieriges wissenschaftliches Unterfangen. Und so verwundert es auch nicht, dass laut einer norwegischen Meta-Studie „viele Studien nicht den Schluss zu[lassen], dass soziale Plattformen auch die Ursache für psychische Probleme sind und man umgekehrt sagen kann, dass es den Betroffenen ohne Social Media besser ginge (…).“[9] Viele der untersuchten Studien setzen voraus, dass die Nutzung sozialer Medien einen Einfluss auf die psychische Gesundheit hat. Die Autoren der Studie vermuten den Grund in „the mainstream media discourse dominated by mostly negative stories and reports of social media use“[10]. Notwendig für genauere Analysen wären beispielweise Längsschnittstudien, die die Auswirkungen von Social Media über längere Zeiträume untersuchen, sowie solche, die genau umgekehrt vorgehen: Wie wirkt sich die psychische Gesundheit auf die Nutzung von Social Media aus?
Auch die aktuellen Diskussionen um die entsprechenden Inhalte der Facebook Files gehen zumeist von der Voraussetzung aus, dass soziale Medien Auswirkungen auf die Psyche haben – und zwar eher negative. Hinzu kommt aber nun die oben erwähnte Tatsache, dass Facebook von Gefahren ausging, aber nichts unternehmen wollte. Das zerstört Vertrauen in einen Konzern, der auf Vertrauen baut, schließlich geht es in seinen Netzwerken um persönliche Daten, die die Nutzer*innen preisgeben. Und Facebook hat in der Vergangenheit bei Kritik an seinem „System“ immer wieder Besserung beteuert. So hieß es nach den Untersuchungen 2017 (s. o.):
„Es ist unsere oberste Priorität, dass Instagram ein Ort bleibt, an dem die Menschen sich gegenseitig unterstützen, sicher und wohl fühlen und sich bedenkenlos ausdrücken – besonders, wenn es um junge Menschen geht.“[11]
Und die Reaktion von Facebook auf die Reaktionen in der Öffentlichkeit? Der Konzern wies die Vorwürfe als unlogisch und unwahr zurück.[12] Zudem gehe es den meisten Nutzer*innen nach dem Gebrauch von Instagram besser.[13] Ein Aufwiegen und Bewerten von guten und schlechten Folgen eines Netzwerks ist allerdings unsinnig: Auch wenn nur 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen durch die Nutzung einer App ernsthafte Schäden erleiden würden, wäre das natürlich viel zu viel – auch wenn die restlichen 95 Prozent die App gut oder zumindest in Ordnung fänden.
Festzuhalten bleibt aber: Es gibt tatsächlich kaum Studien, die sich mit den positiven Seiten von Social Media, aber auch von Games und dem Internet insgesamt auseinandersetzen.[14] Hier besteht – neben den oben erwähnten Langzeitstudien – großer Handlungsbedarf, einerseits, um einen von vornherein negativ besetzten Ausgangspunkt für eine These oder Studie zu vermeiden, andererseits, um auch der Alltagswirklichkeit vieler Kinder und Jugendlicher gerecht zu werden: Es kann davon ausgegangen werden, dass nicht alle diese Medien nur deshalb nutzen, weil ein großer sozialer Druck auf ihnen lastet oder weil sie gar „süchtig“ sind. Nein, die Nutzung macht ihnen schlicht Spaß. Aber auch das müsste selbstverständlich erst einmal wissenschaftlich untersucht werden.
Verweise
[1] bitkom.org: Mit 10 Jahren haben die meisten Kinder ein eigenes Smartphone. Online unter: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Mit-10-Jahren-haben-die-meisten-Kinder-ein-eigenes-Smartphone (Pressemitteilung vom 28.05.2019, abgerufen am 04.11.2021).
[2] Simon Hurtz, Lena Kampf, Till Krause, Andrian Kreye, Georg Mascolo und Frederik Obermaier: Interne Dokumente – Das steht in den „Facebook Files“. Online auf den Seiten der Süddeutschen Zeitung unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/facebook-files-mark-zuckerberg-1.5448206 (vom 25.10.2021, abgerufen am 04.11.2021).
[3] faz.net: Whistleblowerin vor dem Senat – Haugen: Facebook führt die Öffentlichkeit in die Irre. Online unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/facebook-whistleblowerin-vor-us-senat-konzern-koennte-mich-zerstoeren-17570897.html (vom 05.10.21, abgerufen am 04.11.21).
[4] Siehe oben, Anm. 2.
[5] Danilo Rößger: Social Media – Sind wir nicht alle ein bisschen Fomo? Online auf den Seiten von Zeit.de unter https://www.zeit.de/entdecken/2016-11/fomo-digital-detox-sucht/komplettansicht (vom 01.01.2021, abgerufen am 04.11.2021).
[6] Viola Ulrich: Wir haben’s geahnt – Dieses soziale Netzwerk schadet deiner Psyche am meisten. Online auf den Seiten von Welt.de unter: https://www.welt.de/kmpkt/article164839518/Dieses-soziale-Netzwerk-schadet-deiner-Psyche-am-meisten.html (vom 24.05.2017, abgerufen am 04.11.2017).
[7] Mirjam Hauck: Social Media – So süchtig machen Whatsapp, Instagram und Co. Online auf den Seiten der Süddeutschen Zeitung unter: https://www.sueddeutsche.de/digital/social-media-so-suechtig-machen-whatsapp-instagram-und-co-1.3887285 (vom 01.03.2018, abgerufen am 04.11.2021).
[8] Die Studie selbst ist online nicht mehr abrufbar. Die Pressemeldung „Studie: Gesundheitsrisiko Instagram“ der Hochschule findet sich online unter: https://www.presseportal.de/pm/127558/4341986 (vom 06.08.2019, abgerufen am 04.11.2021)
[9] Eike Kühl: Instagram-Studie – Ganz schön deprimierend, oder? Auf den Seiten von Zeit.de unter: https://www.zeit.de/digital/internet/2021-09/instagram-studie-kinder-jugendliche-facebook-psychologie-social-media/komplettansicht (vom 30.09.2021, abgerufen 01.11.2021).
[10] Viktor Schønning, Gunnhild Johnsen Hjetland, Leif Edvard Aarø and Jens Christoffer Skogen: Social Media Use and Mental Health and Well-Being Among Adolescents – A Scoping Review. Online auf den Seiten von frontiersin.org unter: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2020.01949/full (vom 14.08.2020, abgerufen am 04.11.2021).
[11] Siehe oben, Anm. 6.
[12] Tagesschau.de: Zuckerberg zu Vorwürfen gegen Facebook – „Unlogisch und einfach nicht wahr“. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/zuckerberg-facebook-117.html (vom 06.10.2021, abgerufen am 04.11.2021)
[13] Diehe oben, Anm. 9.
[14] Siehe oben, Anm. 9.